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neue Balkanroute

2015 führte die «Balkanroute» noch von Griechenland über Bulgarien oder Mazedonien nach Serbien, Ungarn, Österreich und danach weiter nach Deutschland oder in die Schweiz. Nachdem die Grenzen zwischen Serbien und Ungarn sowie Serbien und Kroatien praktisch hermetisch abgeriegelt wurden, hat sich die Route über den Balkan Richtung Westen verschoben. Im Fokus steht heute insbesondere die Grenze zwischen Bosnien-Herzegowina und Kroatien – gleichzeitig geht die physische Abriegelung der Grenzen auf dem Balkan weiter: Ein 175 Kilometer langer Grenzzaun zwischen Ungarn und Serbien steht bereits, ebenso ein 30-Kilimeter-Zaun zwischen der Republik Nordmazedonien und Griechenland. Auch die Festlandgrenze zwischen Slowenien und Kroatien ist ca. auf der Hälfte der 380 Kilometer langen Strecke mit Zäunen abgeriegelt. Ende August 2020 berichtete SRF von geplanten Projekten zwischen Serbien und der Republik Nordmazedonien sowie zwischen Montenegro und Albanien.

Weil es immer schwieriger wird, die Aussengrenzen des EU-/Schengen-Raumes zu überwinden, harren tausende Menschen an den EU-/Schengen-Aussengrenzen aus, um immer wieder zu versuchen, es nach Westeuropa zu schaffen.

 

Aus einem Erfahrungsbericht, am 14. Dezember 2020 veröffentlich vom Migrant Solidarity Network:


«Vor dem Borići Camp traf ich auf drei junge Männer oder vielleicht könnte ich sagen Jungs, die gegenseitig für Fotos posierten. Sie trugen alle keine Jacken, nur dünne Kapuzenpullis, obwohl es draußen wirklich kalt war und schneite. Einer der Jungs erzählte mir ein wenig von seinen bisherigen Erfahrungen in Bosnien und Kroatien. Er sagte, er sei 17 Jahre alt und habe seine ‹Reise› in Pakistan begonnen. Er war nun seit zwei Jahren in Bihać. Als ich ihn fragte, ob er schon versucht habe, über die Grenze nach Kroatien zu kommen, sagte er: ‹Ich habe es 24 Mal versucht. Das letzte Mal war vor 7 Tagen›. Jedes Mal sei er von der kroatischen Polizei zurückgeschoben worden. Sie hätten ihm alles abgenommen, sein Handy, sein Geld, seine Schuhe. Nur Unterhosen und sein T-Shirt liessen sie ihm. Dann schlugen sie ihn. Beim letzten Pushback trafen ihn die Schläge in den Bauch und am Arm. Sowohl am Bauch als auch am Arm trug er sichtbare Verletzungen davon. Als er es schaffte, zurück zum Camp Borići zu gehen, zeigte er seine Verletzungen einer ärztlichen Person. Die haben aber nichts unternommen. ‹Die Ärzt*innen sind sehr schlecht im Camp›.»

 

Offizielle Zahlen, wie viele Geflüchtete sich in Bosnien-Herzegowina aufhalten, gibt es nicht. Schätzungen zufolge sind es mehr als 8000 Menschen, über die Hälfte im Una-Sana-Kanton und viele davon, die nicht in Lagern, sondern im Wald oder in leerstehenden Häusern wohnen – auch im Winter. Bereits am 8. Oktober 2020 sprach der Vertreter der UN-Organisation für Migration (IOM) in Bosnien-Herzegowina gegenüber der Deutschen Welle von einer drohenden «humanitären Katastrophe», wenn nicht bis Ende Oktober die Versorgung aller Geflüchteten organisiert werden konnte, die ausserhalb der bestehenden Lagerstrukturen leben; wobei auch die Bedingungen in den offiziellen Lagern katastrophal ist. Es passiert jedoch das Gegenteil. Die Lage hat sich seit dem Brand des Lagers Lipa nahe der kroatischen Grenze vom 23.12.2020 und dem harten Winter in Bosnien nochmals verschärft. Immer mehr Menschen müssen ohne Schutz vor Kälte, mangelnder medizinischer Versorgung, Hunger und der Angst vor gewalttätigen Übergriffen durch die Polizei und die Grenzschutzbehörden ausharren.

Die Unter- oder gänzliche Nicht-Versorgung flüchtender Menschen ist jedoch nicht Ergebnis «staatlichen Versagens» oder ungenügender Ressourcen, was wir an den EU-/Schengen-Aussengrezen sehen ist eine bewusste, in Gesamteuropa getroffene, politische Entscheidung, um Geflüchtete davon abzuschrecken, überhaupt erst nach Europa zu kommen. Abschreckung auf Kosten eben jener fundamentaler Menschenrechtsgarantien, die Europa hochzuhalten vorgibt. Die Geringschätzung jeglicher Rechte von Geflüchteten zeigt sich in aller Brutalität in der Praxis von Pushbacks – die völkerrechtswidrige Kollektivausweisung von geflüchteten Menschen, ohne Möglichkeit gehabt zu haben, ein Asylgesuch zu stellen, zu begründen und prüfen zu lassen. Oft verlaufen solche Pushbacks unter Anwendung von Gewalt durch die Grenzbeamt*innen; im November 2020 veröffentlichten die SRF-Rundschau und der Spiegel Videomaterial, das einen solchen gewaltsamen Pushback zeigt. Demütigungen, Schikanen, Schläge, Tritte, zerstörte Mobiltelefone, weggenommene Kleider – die Grenzbeamt*innen begehen krasse Rechtsverletzungen und bleiben straffrei. Nicht «nur» das; diese Politik wird von den nationalen Behörden gestützt und von den europäischen Institutionen gedeckt.


Das Border Violence Monitoring Network (BVMN), eine Kooperation verschiedener NGOs, dokumentiert seit Jahren brutale Push Backs und hat am 18. Dezember 2020 ein zwei Bände starkes «Schwarzbuch Pushbacks» vorgelegt. Auf 1‘500 Seiten dokumentiert das Netzwerk mit 892 detaillierten Zeug*innenaussagen illegale die Rückschiebung von über 12‘000 Menschen. Diese strukturelle Gewalt an den EU-/Schengen-Aussengrenzen – dazu gehören auch die Bedingungen in Moria 2.0 und die Pushbacks in der Ägäis – sind Ergebnis einer politischen Strategie zur Abschreckung. Und so wichtig wir die solidarische Unterstützung von Geflüchteten sowie die Forderung nach der sofortigen Evakuierung aller Lager auf den griechischen Inseln finden, sei daran erinnert, dass sich weder die Zustände resp. Lebensbedingungen verbessern werden noch die systematischen Rechtsbrüche enden wird, wenn nicht an der den Lagern zugrundeliegenden Politik etwas geändert wird.


Die Gruppen NoNameKitchen und FrachKollektiv berichten auf ihren Social Media Kanälen regelmässig über die Zustände vor Ort.


Stand 23.03.2021 ::: aktuelle Infos auf Twitter / all Fotos by Maria Feck

 

Spendenaufruf


Die NGO «NoName Kitchen» ist zurzeit insbesondere in Bosnien-Herzegowina aktiv und unterstützt Menschen auf der Flucht mit der Verteilung von Lebensmitteln, Kleidern, Zelten und Verbandsmaterial. Der Winter in Bosnien-Herzegowina ist da, weshalb die NoName Kitchen einen dringenden Spendenaufruf veröffentlicht hat. Die Sachspenden sammeln wir fortlaufend – nun braucht es weitere finanziellen Mittel, um den Transport der gesammelten Spenden von der Schweiz nach Bihać und anderswo weiterhin zu ermöglichen.


Wer nicht die Möglichkeiten hat, sich mit einem Geldbetrag zu beteiligen, kann uns gerne beim Sortieren der Sachspenden helfen kommen. Fragen?





 
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